Gedankensplitter zu den Ankündigungen der zukünftigen Regierung im Koalitionsvertrag bezüglich Flucht und Asyl, u.a. auch mit Blick auf die Situation in Herne von Katja Jähnel (Flüchtlingsreferentin)

Der Koalitionsvertrag 2021-2025 kann ein Schritt nach vorne und zumindest in die richtige Richtung sein, wenn denn die Konkretisierungen und Umsetzungen und vor allem Anwendungshinweise für die örtlichen Ausländerbehörden nicht gar so lange auf sich warten lassen.

Was können wir als Erfolg verbuchen?

In Herne leben viele syrische Staatsbürger, die nicht mehr den vollen GFK-Schutz erhalten haben, sondern nur subsidiären Schutz. Die damit verbundenen Wartezeiten beim Familiennachzug sowie die hohen Anforderungen an einen solchen, sollen nun entfallen. Eine Gleichstellung von GFK-Flüchtlingen und subsidiär Geschützen soll erfolgen. Das gilt auch für alle anderen Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus. Zu den Minderjährigen dürfen zudem nun auch die Geschwister einreisen, nicht nur die Eltern. Damit wird der Schutz der Familie gewahrt, niemand wird auseinandergerissen.

In Herne leben ebenso sehr viele Flüchtlinge mit langjährigen und/oder Duldungen. Die Aufhebung des Arbeitsverbotes sowie die Abschaffung der „Duldung light“, eine der zentralen Verschärfungen der letzten Jahre, ist sehr zu begrüßen. So können Menschen mit Duldungen über eine Arbeit und die Sicherung des Lebensunterhaltes eine Aufenthaltsverfestigung anstreben. Das allerdings klappt auch weiterhin nur mit geklärter Identität.

Auch die in Herne lebenden Kinder und jugendlichen Flüchtlinge können von den Erleichterungen bei der Aufenthaltsverfestigung profitieren. Durch eine Verkürzung der Zeiten für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird ihnen Sicherheit gegeben und damit die Integration in unserer Gesellschaft nachhaltig gefördert.

Was fehlt?

Mit keinem Wort wird über die langen Aufenthaltszeiten der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen gesprochen. Ankerzentren wird es nicht mehr geben, aber wie soll das mit den Erstaufnahmeeinrichtungen dann laufen?

Kinder sollen nicht mehr in Abschiebehaft, eine Regelung, die überfällig war. Aber was ist mit kranken und häufig zutiefst traumatisierten Menschen? Der Nachweis über die Erkrankungen wurde in den letzten Jahren so erschwert, dass es faktisch kaum möglich ist, derartige umfangreiche Gutachten zu erbringen, da die Ärzte häufig überlastet sind. Somit trifft eine Abschiebung häufig diejenigen, die sich am wenigsten wehren können.

Deutschlands Flüchtlingspolitik ist eingebettet in die europäische Politik. Wenn Zurückweisungen an den Grenzen weitergehen, dann haben auch nationale Verbesserungen nur eine geringe Wirkung. Wenn die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der GFK und EMRK in Drittstaaten möglich sein soll (S.14 Koalitionsvertrag), dann würde das einer sehr problematischen Auslagerung des Flüchtlingsschutzes gleichkommen. Allerdings steh auf Seite 14 auch, dass alle Anträge in der EU zu prüfen sind. Hier muss man abwarten, was die Konkretisierungen auf den Weg bringen.

Stichwort Rückführungsoffensive:

Zugegeben, der Begriff ist sehr unglücklich gewählt (Oder war es gar Absicht?!), hat was streng Militärisches an sich und suggeriert, dass Deutschland etwas mit aller Kraft durchsetzen möchte – die Abschiebung. „Rückführung“ klingt etwas netter, soll vielleicht die Offensive etwas mildern;-)  Eine Offensive lässt den Angegriffenen wenig Spielraum. Zumindest werden die Flüchtlinge wohl nicht, wie bei militärischen Auseinandersetzungen, zur Gegenoffensive trommeln.

Wenn es sich um Straftäter und Gefährder handelt, wird niemand Einspruch erheben.

ABER: Es besteht immer die Gefahr, dass letztlich ganz andere Gruppen dieser Offensive zum Opfer fallen. Wenn es an anderer Stelle im Vertrag sinngemäß heißt, dass Verfahren von Menschen mit geringer Bleibeperspektive und aus sicheren Herkunftsländern zügiger und prioritär geführt werden soll, erscheint die Offensive in anderem Licht. Heißt es im Koalitionsvertrag nicht auch „irreguläre Migration verhindern“ und „reguläre Migration fördern“?

Sprache bildet gesellschaftliche Verhältnisse ab, der Begriff bildet eine derzeitig sehr rigide Abschiebepraxis ab. Das sollte die neue Regierung so nicht weiter verfolgen, daher ist ein Aufhorchen bei der Ankündigung einer „Rückkehroffensive“ durchaus gerechtfertigt!

Es muss alles getan werden, dass Menschenrechte gewahrt bleiben, dass jeder Flüchtling einen Anspruch auf Prüfung seiner individuellen Asylgründe hat und ein rechtstaatliches Verfahren durchlaufen kann.