Archiv der Fürbitten

Ein Kommentar von Martin Domke

Mein Schwiegersohn kommt hin und wieder mit einem schönen Eierkarton voller riesiger Eier zu uns. „Von Oppa“ sagt er dann nur lakonisch. Ein einziges dieser Turbo-Ellipsoide reicht aus, um ein Rührei für 3 zu fabrizieren. Oppa züchtet schon lange Hühner, natürlich gemeinsam mit Omma, weil wenn er ins Krankenhaus muss, sind die Viecher wenigstens nicht allein.

Jetzt haben Omma und Oppa aber offenbar Zuwachs bekommen. Also nicht biologisch gesehen, sondern in Form schamloser Nachahmung. Immer mehr Menschen, vor allem im Ruhrgebiet, gehen dazu über, sich Haustiere anzuschaffen, darunter die unbestrittene Nummer 1: Hühner! „Das ist ganz schön, wenn wir auf der Terrasse sitzen, dann kommen sie an und wollen gekrault werden.“ Na dann.

Geflügelzüchter können sich gerade nicht retten vor Anfragen. Man rechnet mit steigenden Preisen wie bei Mietwagen an Urlaubsorten, die sind ja auch knapp im Moment. Obwohl, da könnte man auch einen anderen Vergleich anstellen: Ein Verein rettet z.B. ausrangierte Legehennen vor dem sicheren Suppentod. Wäre vielleicht auch für Mietwagen keine dumme Idee.

Aber es stellen sich ja ganz andere Herausforderungen: Jetzt soll laut Wirtschaftsminister Altmaier die Homeoffice-Pflicht wieder eingemottet werden. War ja klar, dass er treu ins Horn der einschlägigen Verbände stößt. Aber hat er wirklich bedacht, was das für tausende neu ausgewiesene Hühnerzüchter*innen bedeutet, gerade solche, die es sich eingestehen müssen, „wie viel Liebe man für Hühner entwickelt“?

Zurück im Büro, vereinsamt, nicht nur die Halter*innen, sondern auch die Hühner*innen in ihren Ställen daselbst. Die Lösung dürfte vermutlich in einer zunehmenden Anzahl von Bürohühnern liegen. Sie wollen ja da sein, wo wir sind, gekrault werden.

Eine Familie hat’s besonders getroffen. Mit drei Legehennen haben sie angefangen. Inzwischen sind’s über 35 geworden, auch Wachteln sind darunter. Wie sie das geschafft haben, weiß ich nicht, aber der Hausherr ließ jetzt wissen, sie wollten unbedingt „im einstelligen Bereich“ bleiben. Ja nee, is klar. Zwischen Hamm und Duisburg eine Wolke Hühner, die den Himmel verdüstern, wie es früher nur die Kohle- und Stahlindustrie geschafft hat.

Ein Trost bleibt: Der Aufwand für die Haltung ist doch etwas größer. Die Familie mit den vielen Hühnern musste schon feststellen, dass der nahe Fuchs und auch die Marder sichtlich Gefallen fanden an dem lieben Federvieh. Jede Hühnerhaltung artet früher oder später in Hochsicherheitstrakte aus, die die Gärten nicht unbedingt verschönern dürften. Ob die Eier unter diesen Umständen auch noch wirtschaftlich sind? Egal, wir lieben Hühner und sie uns!

Ich bleibe trotzdem unter allen Umständen bei dem, was meine Oma mir seinerzeit eingebläut hat: „Bei Erkältung Hühnersuppe!“ Da bin ich immer gut mit gefahren, nicht nur bei Erkältung. Und ich gucke mal wieder genüsslich in die bösen Streiche von Max und Moritz. Die mit der armen Witwe Bolte zuerst. Was das Verspeisen eines leckeren Hühnerbratens angeht, bin ich da ganz auf der Seite der beiden Jungs. Die wissen halt einfach, was gut ist.

Sie zeigen uns aber auch die Lösung für die vielen Hühner, die nach der Pandemie vernachlässigt werden, z.B. weil sie nicht mit ins Büro dürfen. Wohl bekomm’s!

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