Archiv der Fürbitten

Ein Kommentar zu den (nicht mehr so) unfassbaren Vorgängen an der EU Außengrenze von Martin Domke

Also wirklich!

Kroatische Polizisten prügeln Flüchtlinge aus der EU – es wird auch dieses Mal ohne Folgen bleiben

Jetzt soll es sogar bewiesen sein, von mutigen und ausdauernden Journalist:innen aufgedeckt und dokumentiert: Kroatien prügelt Geflüchtete zurück aus der EU, damit sie erst gar keine Asylanträge stellen können. Die Filme zeigen den blanken Horror für Menschen, die Schutz suchen – in Europa! Die Medien berichten mit Akribie, Zweifel gibt es kaum noch, dass der kroatische Staat hinter diesem brutalen Unrecht steht. Kroatien ist Mitgliedsland der EU. 

Genauso empörend wie das himmelschreiende Unrecht ist aber die (vorhersehbare wie ausbleibende) Aufregung darüber. Wie auch soll sich die EU, die diese Verfahren ja nicht nur billigt, sondern auch bereitwillig finanziert, empören? Die kroatische Polizei ist mit Millionen aus dem EU-Haushalt aufgerüstet worden, die „Grenzschutzbehörde“ Frontex ist seit Jahren damit beschäftigt, jede angeblich illegale Bewegung an den Grenzen Europas aufzuspüren und gibt ihre Daten an die „Einsatzkräfte“ vor Ort weiter, die dann entsprechend tätig werden (siehe die neuesten Videos). Die Beamten von Frontex können für ihre völkerrechtswidrigen Aktionen nicht belangt werden. Auch dafür hat die EU gesorgt. Sie genießen nämlich diplomatische Immunität, dafür hat man gleich im Vorfeld gesorgt.

Damit erst gar keine Illusionen aufkommen, ist auch die Zuständigkeit des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg von vornherein ausgeschlossen worden. Die EU ist, man glaubt es kaum, und die meisten werden es gar nicht wissen, nämlich nicht Mitglied im Europarat! Anders ausgedrückt, sie hat vorausschauend dafür gesorgt, dass die Gerichtsbarkeit des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes für die meisten Menschen und Institutionen in der EU zu gelten haben, nicht aber für die EU selbst und ihre Agenturen, deren eine eben Frontex ist.

Wer es mit dem Lesen bis hierher geschafft hat, reibt sich die Augen: Wir haben ein ausgeklügeltes europäisches System, in dem gezielt der menschenrechtswidrige Umgang mit Geflüchteten geplant und ausgeführt wird. Schutz vor Verfolgung dieser menschenrechtswidrigen Handlungen (Ertrinkenlassen im Mittelmeer, Ermordungen in libyschen Lagern und eben die Pushbacks in Kroatien) hat man gleich mit eingebaut.

Was unterscheidet diese EU eigentlich noch von Diktaturen, die ihre eigenen politischen Ziele durch die Abschaffung bürgerlicher Rechte und der unabhängigen Gerichtsbarkeit durchsetzen? Die Frage hat übrigens nichts mit einer linksversifften Empörung zu tun, sondern es sind einfach Fakten, die im komplizierten Geflecht nur noch von Fachleuten, wenn überhaupt aufgegriffen werden. Immerhin: Den aktuellen Nachrichten über die Pushbacks in Kroatien folgten weder Dementis (nicht mal in Kroatien) noch „Richtigstellungen“ aus Brüssel. Man schweigt – und sitzt es aus.

So ist auch jedes Gerede über „uns Europäer“ und vor allem über die viel beschworenen „Europäischen Werte“ absurd und zeigt die wahre Fratze dahinter: hohl, substanzlos und widerwärtig. Diese Werte sind längst im Mittelmeer versunken und an der bosnisch-kroatischen Grenze herausgeprügelt – offenbar eben auch aus dem Gewissen europäischer Politiker:innen. Ihre Schergen in den nationalen Parlamenten und Regierungen eingeschlossen.

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