Arbeit unter Falschem Namen ?!

von Harald Rohr 2006
Dass man deshalb aus dem Kirchenkreis Herne weggehen müsste, mochte Superintendent Fritz Schwarz nicht einsehen: einer seiner Pastoren teilte dem Chef 1975 mit, er wolle den Kirchenkreis Herne verlassen, um sich einen Arbeitsplatz in der, wie man damals noch unbefangen sagte, Dritte-Welt-Arbeit zu suchen. "Was soll der Quatsch? Wenn du unbedingt willst, kannst du das auch hier machen." Der junge Mann ließ sich überrumpeln. Wenige Monate später stand der kirchenrechtliche Rahmen für die erste und auch nach bald 25 Jahren wohl noch einzige ordentliche Pfarrstelle für Ökumenische Diakonie in einem deutschen Kirchenkreis.

Allzu viel Ahnung von seinem Metier hatte der Pfarrer auf der Extra-Pfarrstelle nicht. Nur, dass sich die Öffentlichkeit kaum für ein Pfarramt für Ökumenische Diakonie interessieren würde, war ihm klar. Wie also sollte das Baby heißen? Von Fritz Schwarz und seinem Kreissynodalvorstand war wegweisender Rat nicht zu erwarten. Also hieß es, sich in der Landschaft umsehen. Und das Gute lag so nah. Im benachbarten Dortmund arbeitete damals schon seit einigen Jahren ein Informationszentrum Dritte Welt; heute noch aktiv, damals eine bundesweit beachtete Pioniereinrichtung in der noch ziemlich jungen Szene von Bürgerinitiativen. Viel mehr als der eigennützige Wunsch, ein wenig von dem guten Ruf des Dortmunder "iz3w" zu profitieren, war es nicht, was dem Kirchenkreis Herne/Castrop-Rauxel 1976 auch ein Informationszentrum Dritte Welt bescherte. Zentrum, bei einem Pastor und zwei Zivildienstleistenden als Team war das ein wenig großmäulig. Aber Information und Dritte Welt, das lag durchaus in der politischen Luft. Die 68er-Studenten-Bewegung mit ihren ungezählten Teach-ins lag erst wenige Jahre zurück. Parteinehmende Information galt als Voraussetzung für Aktion - irgendwie logisch. Und Dritte Welt? Mittendrin im Kalten Krieg der Systeme machte es Sinn, durch diesen Begriff darauf hinzuweisen, dass die überwältigende Mehrheit aller Menschen mit dem die Weltpolitik dominierenden West-Ost-Konflikt nichts zu schaffen hatte - auch wenn die Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in so genannten Stellvertreter-Kriegen und infolge der Welt-Wirtschafts-Unordnung oft genug die Zeche zu zahlen hatten.

So informierte das neue Zentrum wacker, in den ersten Jahren fast ausschließlich Gemeinden, Schulklassen und Gruppen in HER, WAN und CAS. Die Fußgängerzonen sahen ungezählte Informationsstände. Und der Superintendent bekam reichlich Protestbriefe. Weniger wegen ohnmächtigen Rüttelns an der extrem ungerechten Weltwirtschaftsordnung im Zusammenhang der damals bevorstehenden UNO-Welthandels-Konferenz UNCTAD IV, aber bei Südafrika, da hörte der Spaß auf. Nelson Mandela war Ende der siebziger Jahre auch für die meisten Presbyterien noch ein politischer Schwerverbrecher. Da trafen sich in dem jungen Zentrum schwarze Exil-Südafrikaner, die sich zur Bewegung Schwarzes Selbstbewusstsein (BCM) um den ermordeten Steve Biko zählten. Das wollten eine ganze Reihe einflussreicher Leute nicht hinnehmen. So wie später die Beteiligung an der Früchte-Boykott-Initiative gegen Südafrikas rassistische weiße Minderheitsregierung, wie der Streit um Konten bei Banken, die dem Regime in Pretoria Großkredite gewährten, oder um südafrikanische Goldmünzen: reichlich zehn Jahre lang bot das Südafrika-Engagement des Zentrums Anlass für Forderungen nach Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeitende. Fritz Schwarz empfahl regelmäßig, man möge sich direkt mit den Verursachern des Ärgers auseinandersetzen und bediente sich im Übrigen manches Mal seines Papierkorbes. Schwieriger war das schon, wenn Gemeinden per Presbyteriumsbeschluss die Zusammenarbeit mit dem Zentrum ablehnten. Das kam mehr als einmal vor.

Die Informationsarbeit zur Situation im damaligen Südafrika ging unversehens in Aktion über, begleitet von lebhaftem Echo in der Lokalpresse und ihren LeserInnenbrief-Spalten. Im Laufe von bald 25 Jahren hat sich das ein uns andere Mal bestätigt: zwischen 1979 und 1981, als aus der verschärften atomaren Ost-West-Konfrontation die Friedensbewegung entstand; als etwa um dieselbe Zeit Lebensstil und Bewahrung der Schöpfung auf die Tagesordnung kamen - der symbolträchtigen Jutetasche ein ehrendes Angedenken -; als Flüchtlinge und Menschenrechte Teil des politischen Alltags wurden: die innere Freiheit, die Bereitschaft und der Wille zur Verhaltensänderung müssen noch lange nicht vorhanden sein, auch wenn alle nötigen Informationen, und noch tausend mehr, auf dem Tisch liegen. 
Schließlich lernten die Zentrumsleute in wenigen Jahren: Dritte Welt, Ökologie, Frieden, Menschenrechte, alles hängt mit allem im Guten wie im Bösen zusammen und lässt sich nicht auseinander dröseln.

All diese Erfahrungen kamen spätestens ab 1980 im Namen des Zentrums nicht mehr zum Ausdruck. Es gab auch ganz praktische Schwierigkeiten. Wer vermutete schon die Umweltberatung des Kirchenkreises in einem Informationszentrum Dritte Welt? Oder die Koordination der lokalen Friedensarbeit, oder Beratungsstellen für Flüchtlinge, Migrantinnen und Kriegsdienstverweigerer? 
...Am Ende kam dem Zentrum sogar die Dritte Welt abhanden. Im Zeitalter der Globalisierung ist potentiell überall Dritte Welt. Der Begriff aus dem Mund des US-Nachkriegs-Präsidenten Harry S. Truman ist längst nicht mehr geeignet, die politischen Verschiebungen, die Macht- und Einkommengefälle der Gegenwart einzufangen. Zu guter Letzt sagen Kommunikations-Fachleute, dass der Namensteil Zentrum den unangenehmen Geruch von Institution ausströmt.

Seit 1984 behilft sich das Zentrum in Briefkopf und Prospekten mit dem Zusatz "Arbeitsstelle des Kirchenkreises Herne für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" Die Weltkirchenkonferenz im kanadischen Vancouver mit den drei Leitworten des Konziliaren Prozesses hatte Pate gestanden. 
Der Hattinger Künstler und ehemalige Zentrums-Zivi Georg Temme schenkte uns in dieser Zeit das Logo, den Taubenfisch, das im Gegensatz zum Namen nichts an Aktualität verloren hat: Glaube und Leben in den Herausforderungen der Zeit sollen eine untrennbare Einheit bilden.

Dennoch stand eine Umbenennung der Einrichtung an. Beim ersten Anlauf Anfang der neunziger Jahre und 1999 noch einmal war ein Informationszentrum Eine Welt klarer Favorit unter den Vorschlägen, die vor Ort und aus allen Ecken Deutschlands gemacht wurden. Da war sie wieder, die überschätzte Information. Außerdem, meint vor allem der Geschäftsführer, ist unsere Welt aus der Perspektive der Armen und Geknechteten weniger durch eine spirituelle Einheit, als durch existentielle Interessengegensätze gekennzeichnet. 
Bleiben eine ganze Reihe von Vorschlägen berühmter Namenspatronen wie z.B. Martin Luther King - und auch die Frage, ob man denn keine anderen Sorgen habe. 
Der Kirchenkreis Herne/Castrop-Rauxel, wird jedenfalls, wie es scheint, sein unzeitgemäßes Informationszentrum Dritte Welt noch eine Weile behalten.